Niedersachsen kann den aktuellen Bedarf an Kita-Plätzen voraussichtlich erst 2030 decken

Nachricht 28. November 2023

Zehn Jahre nach Einführung des Rechtsanspruchs auf eine Tagesbetreuung für Kinder ab dem vollendeten ersten Lebensjahr gibt es in Niedersachsen noch immer zu wenig Kita-Plätze, um die Bedarfe der Eltern zu decken. Neuen Berechnungen zufolge könnte es erst 2030 gelingen, die Lücke zu schließen sowie in allen Gruppenformen kindgerechte Personalschlüssel zu erreichen.

Gütersloh, 28. November 2023. In Niedersachsen liegt die Quote der unter dreijährigen Kinder in Kindertagesbetreuung mit 34 Prozent unter dem Bundesdurchschnitt (36 Prozent). Tatsächlich wünschen sich jedoch 47 Prozent der Eltern für ihr Kind in dieser Altersgruppe eine Betreuung. Bei den ab Dreijährigen liegt die Betreuungsquote mit 92 Prozent im Bundesdurchschnitt (92 Prozent.) Allerdings haben hier 96 Prozent der Eltern Bedarf an einer Kindertagesbetreuung. Im Ergebnis fehlen in dem Bundesland 41.600 Kita-Plätze, um die Bedarfe der Eltern zu decken. Das zeigen die Berechnungen der Bertelsmann Stiftung für das aktuelle „Ländermonitoring Frühkindliche Bildungssysteme."

„Niedersachsen kann den Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz nach wie vor nicht bedarfsgerecht erfüllen. Die Kinder bekommen keinen Zugang zu frühkindlicher Bildung, während die Eltern Familie und Beruf schwieriger vereinbaren können," sagt Kathrin Bock-Famulla, Expertin der Bertelsmann Stiftung für frühkindliche Bildung.

Noch nicht alle Kitas sind für den Bildungsauftrag gut ausgestattet.

Gleichzeitig werden noch 56 Prozent der Kita-Kinder in Niedersachsen in Gruppen mit nicht kindgerechten Personalschlüsseln betreut. In den Krippengruppen ist eine vollzeitbeschäftigte Fachkraft rechnerisch für 3,4 ganztagsbetreute Kinder zuständig. Das ist identisch mit dem Westwert von 1 zu 3,4, verfehlt aber das von der Bertelsmann Stiftung empfohlene Verhältnis von 1 zu 3. In den Kindergartengruppen ist eine Fachkraft rechnerisch für 7,6 Kinder verantwortlich. Dies ist etwas günstiger als das Westniveau (1zu7,7), erreicht aber nicht den von der Bertelsmann Stiftung empfohlenen, kindgerechten Personalschlüssel von 1 zu 7,5 in dieser Gruppenform.

„Wenn eine Fachkraft für mehr Kinder verantwortlich ist als wissenschaftlich empfohlen, leidet darunter die Qualität der pädagogischen Praxis. Es ist davon auszugehen, dass die Kitas in Niedersachsen aktuell ihren Bildungsauftrag für die Mehrheit der Kinder nicht erfüllen können," sagt Bock-Famulla. Dass die Kitas in Niedersachsen eine bessere Personalausstattung benötigen, zeigt auch die Fachkraft-Kind-Relation. Sie spiegelt wider, wie viele Kinder eine Vollzeit-Fachkraft rechnerisch unmittelbar im Alltag betreut. „Wenn man Urlaubs- und Krankheitstage sowie Zeit für Teamgespräche, Vor- und Nachbereitung und Weiteres abzieht, ist davon auszugehen, dass im Schnitt nur zwei Drittel der Arbeitszeit für die eigentliche Bildung und Betreuung der Kinder zur Verfügung stehen," erklärt Bock-Famulla. Für Niedersachsen bedeutet das, dass bei einem Personalschlüssel von 1 zu 3,4 eine Fachkraft in den Krippengruppen 5,1 Kinder betreut.

Um die Situation zu verbessern, benötigen die Kitas in Niedersachsen deutlich mehr Personal. Laut dem aktuellen „Fachkräfte-Radar für KiTa und Grundschule" der Bertelsmann Stiftung werden in dem Bundesland bis zum Jahr 2025 allerdings 5.000 Fachkräfte fehlen, nur um die Betreuungsbedarfe der Eltern zu erfüllen. Bis 2030 wäre zwar rechnerisch ausreichend Personal vorhanden - allerdings nur, wenn die Elternbedarfe auf dem derzeitigen Niveau bleiben. Zudem könnten dann die Personalschlüssel auch die wissenschaftlichen Empfehlungen erreichen. Es ist jedoch davon auszugehen, dass die Zahl der Eltern, die ihre Kinder betreuen lassen möchten, weiter steigt. Das gilt vor allem für die Gruppe der Kinder unter drei Jahren.

Um die Kita-Krise kurzfristig abzumildern, sind neue Antworten gefragt.

Um den enormen Personalmangel bereits jetzt abzufedern, müssten die vorhandenen Fachkräfte von nicht-pädagogischen Aufgaben entlastet werden, zum Beispiel durch Mitarbeitende in der Verwaltung und Hauswirtschaft. Auch die Gewinnung und Qualifizierung von Quereinsteigern bleibt wichtig. Zudem wäre eine Anpassung der Kita-Öffnungszeiten auf sechs Stunden täglich eine mögliche Maßnahme. Nach Berechnungen des Fachkräfte-Radars könnten die Kitas in Niedersachsen dadurch bis 2025 die Platzbedarfe aller Eltern erfüllen und die Personalschlüssel das bessere Westniveau erreichen. Laut der Kinderbetreuungsstudie 2022 des Deutschen Jugendinstitutes wünscht sich ein Teil der Eltern in dem Bundesland kürzere Betreuungszeiten, als vertraglich vereinbart sind.

„Ein solches Vorgehen kann aber nur in Abstimmung zwischen Eltern, Träger und Kommune getroffen werden," so Bock-Famulla. Zudem müssten Arbeitgeber die Arbeitszeiten von Eltern stärker an die Öffnungszeiten von Kitas anpassen. „Die Kita-Krise ist so weit fortgeschritten, dass sie neue Antworten erfordert. Allen Akteuren, insbesondere Politik und Arbeitgebern, muss klar sein: Der anhaltende Personalmangel in der frühkindlichen Bildung hat Auswirkungen auf die gesamte Gesellschaft," betont die Expertin.

Zusatzinformationen:
Für das „Ländermonitoring Frühkindliche Bildungssysteme" und den „Fachkräfte-Radar für KiTa und Grundschule" wurden Daten der Statistischen Ämter des Bundes und der Länder aus der Kinder- und Jugendhilfestatistik (Stichtag 1. März 2022), des BMFSFJ („Kindertagesbetreuung Kompakt", 2023), des DJI („Kinderbetreuungsreport 2022", 2023) und weiteren amtlichen Statistiken ausgewertet. Die Berechnungen haben das LG Empirische Bildungsforschung der FernUniversität in Hagen, Economics & Data ED23 GmbH und die Bertelsmann Stiftung durchgeführt. Die Daten und Quellen sind auf www.laendermonitor.de sowie in den Länderprofilen unter www.laendermonitor.de/laenderorofile zu finden. Eine kompakte Darstellung bietet die Online-Broschüre www.bertelsmann-stiftung.de/kita-personal-braucht-prioritaet-auch-2023.

Pressemitteilung: Bertelsmann Stiftung